Vor dem Hintergrund psychoanalytischer Theorien von Kreativität (Melanie Klein, Donald Meltzer, Julia Kristeva, Christopher Bollas, Antonino Ferro) und mit Blick auf die Poetologie Olga Tokarczuks wird die psychische Funktion des Erzählens dargelegt. Der psychotherapeutische Prozess wird als Raum gefasst, in dem Bedeutung ständig suspendiert und kreiert wird. Die Raummetapher für den psychosomatischen Prozess der Sinngebung wird auf den Begriff der negative capability (Keats, Bion) bezogen, um die Herstellung psychischer Struktur im durch Vieldeutigkeit, Offenheit und Verkörpertheit gekennzeichneten therapeutischen Gespräch zu skizzieren. Aus dem Blickwinkel Ferros auf das Weben an Geschichten im Feld der Sitzung wird exemplarisch eine Möglichkeit erörtert, Fall-Geschichten zu erzählen, die sich der Tendenz der Vignette zur Fest-Schreibung entziehen könnte. Das Entstehen eines inneren Raumes vieldeutigen Erzählens als Analogon für die Komplexität des Seelenlebens wird mit Ferro als narrative Transformation begriffen. Darin wird das Heilende von Psychotherapie gesehen. Das Kreieren von Bedeutung in der Psychotherapie wie in der Kunst wird schließlich am Beispiel von Ingmar Bergmans Film »Das siebente Siegel« (1957) als imaginäre Bewältigung des Todes bedacht. Der Beitrag will solcherart vorführen, dass das Geschehen in psychodynamischen Therapieverfahren methodisch besser beschreibbar ist in Begriffen der Kunst als mit jenen exakter Wissenschaft.
Ausgabe Imagination 1-2/22