Kongress 2022 – Workshops

In Anlehnung an Platons Kugelmenschen, die, von Zeus durch ein Schwert in zwei Teile gespalten, fortan nach Wiedervereinigung strebten, entwickelte Sigmund Freud das Konzept der Libido als einen uns bestimmenden und nach dem Liebesobjekt drängenden Trieb. Diese Suche nach der anderen, manchmal besseren Hälfte, stellt ein Urmotiv des Menschen dar, welches seine kulturelle Ausprägung des Findens und sich Bindens in der Ehe und in dem Ideal beständiger Beziehungen hat. Freuds These, dass jede Objektfindung eigentlich nur eine Wiederfindung sei – abgeleitet vom kindlichen Saugen an der Mutterbrust, unterstreicht die tiefe innerpsychische Verankerung dieses Zärtlichkeitsbedürfnisses, wie Alfred Adler es nannte. Melanie Klein, beschrieb später jene phantasiegetriebenen Bedingungen, die aus dem Saugen eine komplexe psychische Liebesfähigkeit entstehen lassen. Dabei spielt die Anerkennung der eigenen Destruktivität und der Wunsch nach Wiedergutmachung als Bestandteil der Liebesfähigkeit eine wesentliche Rolle. Schließlich formulierte Otto Kernberg die Komponenten der reifen Liebesfähigkeit, die es ermöglichen Liebesfähigkeit begrifflich und auch klinisch nützlich zu fassen.

Eines der wichtigsten Ziele der analytischen Behandlung ist es, innerpsychische Bedingungen herzustellen, die den Ausdruck einer reifen Liebesfähigkeit in Beziehungen möglich machen. Dabei bedeutet Lieben können nicht bloß Genuss oder Befriedigung zu finden oder zu geben, sondern die Liebesfähigkeit als Potential gerade dort zu erhalten, wo die Befriedigung ausbleibt. Dabei geht es auch nicht um asketische Entsagungsübungen oder um die Erhebung pandemischer Distanzierungsregeln zu einer Tugend. Die Liebesfähigkeit offenbart sich dort, wo Ablehnung und Verlust des geliebten Objektes Schmerz und Trauer mit sich bringt, aber nicht in der Lage ist, die Liebe von eigener Destruktivität überfluten zu lassen. Das Wiederfinden des Liebesobjekts, wenngleich oftmals durch obskure Erschwernisse verunmöglicht, einmal als Streit, einmal als Pandemiewelle, bleibt eben als Urerfahrung in uns eine stille aber wirksame Quelle der Hoffnung.

Nestor KAPUSTA  Dr. med. FA f. Psychiatrie, habilitiert für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Individualpsychoanalytischer Analytiker, Lehranalytiker und Supervisor (ÖVIP). Assoziierter Professor an der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien klinisch, lehrend und forschend tätig. Arbeitsschwerpunkte: Psychoanalysen, Übertragungsfokussierte Psychotherapie und Psychoanalytische Paartherapie, Krisenintervention, sowie quantitative und qualitative Forschung und Lehre auf dem Spektrum zwischen Aggressionstrieb und Liebesfähigkeit, eigene Praxis Wien

Publikationen
Kapusta N.  (2020). Über Liebe und Liebesfähigkeit aus psychoanalytisch-individualpsychologischer Perspektive. Zeitschrift für Individualpsychologie, Vol. 45, No. 1. DOI:10.13109/zind.2020.45.1.29.
Kapusta ND, Jankowski KS, Wolf V, Chéron-Le Guludec M, Lopatka M, Hammerer C, Schnieder A, Kealy D, Ogrodniczuk JS, Blüml V. (2018). Measuring the Capacity to Love: Development of the CTL-Inventory. Front Psychol; 9:1115. DOI:10.3389/fpsyg.2018.01115.
Kapusta ND. (2010). On: the concept of death drive and aggression. Int J Psychoanal; 91(3):641-2. DOI:10.1111/j.1745-8315.2010.00285.x.

 Nach den entbehrungsreichen Erfahrungen des Social Distancing und verschiedener Varianten von Tele-Therapie, werden wir uns in der post-pandemischen Zeit wieder vermehrt fragen müssen, welche theoretischen Ansätze uns als ProfessionistInnen im Vis-à-vis mit PatientInnen genügend Anhalt bieten, um deren Entwicklungsprozess bestmöglich mitzutragen. Bions vielzitiertes container-contained Modell von 1962 gehört zu den langgedienten Basics psychodynamisch orientierter Verfahren und fand darüber hinaus Eingang in die Professionssprache eines interdisziplinären psychosozialen Feldes. Die weite Verbreitung geht allerdings oft mit einer Verflachung oder Verzerrung einher, weshalb ich in Vortrag und Workshop versuchen will, das theoretische Potential sowie die praktische Bedeutung des Containing neu zu beleuchten. Statt auf die hermetische Terminologie des Erfinders zurückzugreifen, versuche ich mich zu diesem Zweck an meiner eigenen Übersetzung und Aktualisierung des Konzepts, das heute in Konkurrenz zu anderen Ansätzen, allem voran jenem der Mentalisierung steht. Meine Leitthese lautet: Containing ist keine therapeutische Technik, die neben anderen Techniken im therapeutischen Werkzeugkoffer liegt; vielmehr muss es als eine umfassende (metapsychologische) Konzeptualisierung des komplexen, intersubjektiven Feldes zwischen TherapeutIn und KlientIn betrachtet werden, die – im günstigen Fall – durch ihre affektiven Austausch- und Transformationsprozesse, ein generatives Unbewusstes hervorbringen, mit dem kollaborativ verdaut, geträumt und gedacht werden kann.

Gianluca CREPALDI, MMag. Dr. phil., Senior Scientist am Institut für Psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung an der Univ. Innsbruck, Psychoanalytiker in freier Praxis in Innsbruck; wissenschaftlicher Leiter des Universitätslehrganges Psychotherapeutisches Propädeutikum (Univ. Innsbruck), Lehranalytiker (mit partieller Lehrbefugnis), Ausbildungsleiter am Psychoanalytischen Seminar Innsbruck (PSI).
Schwerpunktthemen: Psychoanalytische Theoriebildung- und Konzeptforschung, psychoanalytische Subjekt- und Kulturtheorien sowie das Werk Wilfred R. Bions.

Ausgewählte Veröffentlichungen:

• Containing (Analyse der Psyche und Psychotherapie). Gießen: Psychosozial-Verlag: 2018
• Inter-Psychische Realität im Kriegszustand: Kommunikationsvernichtung durch malignes Containing. In: Trauma - Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen, 16(3): 2018
• Das Subjekt der Arbeit: Psychoanalytische und kulturkritische Provokationen. In: Psychoanalyse im Widerspruch 31(1): 2019
• Mit Gerald Poscheschnik: Zur klinischen Bedeutung der Fehlleistung heute. In: Forum der Psychoanalyse. Vorab-Onlinepublikation: 2021

Tritt Spaltungsabwehr im Rahmen prä-ödipaler Konflikte bei strukturell besser integrierter Persönlichkeit in der Regel erst später im Verlauf der Therapie in den Vordergrund, konnte das Vertrauen in die hilfreiche Beziehung meist schon längere Zeit wachsen. Bei schwererer Strukturpathologie sind wir von Anfang an mit archaischen negativen Affekten als Folge von Spaltungsabwehr konfrontiert. Hier ist das Arbeitsbündnis oder der Rahmen der Behandlung von besonderer Bedeutung. In beiden Fällen benötigen wir ein hilfreiches Verständnis der Übertragung, um der Reinszenierung destruktiver Objektbeziehungen therapeutisch begegnen zu können. Wie können wir tragende Verbindungen schützen, wenn diese immer wieder attackiert und zerstört werden? Wie kann die Integration gelingen?

Bernhard  BRÖMMEL, Dr. med., FA für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapeut (KIP), Lehrtherapeut mit voller Lehrbefugnis (KIP), TFP Trainer und -Supervisor, eigene Praxis Wien

Um zu verdeutlichen, wie die durch Corona ausgelöste Krise psychisch verarbeitet wird, drängen sich Konzepte aus der Psychotraumatologie auf. Im Vortrag wird ein Ansatz vorgestellt, wie die Auf‌hebung von emotionalen Widersprüchen dazu genutzt werden kann, um Eigenaktivität zu fördern. Es geht dabei darum, wie pathogenetische in salutogenetische Mechanismen umgewandelt werden, um die Aufgaben konstruktiv zu meistern, die die aktuelle Pandemie von uns fordert.Das Konzept des sinnlichen Selbst beschreibt, wie sich das Selbst im präverbalen Raum organisiert. Wie funktioniert die akustische oder bildlich-imaginative Ebene im Unterschied zum verbalen Diskurs? Vor allem: wie koordiniert sich das Imaginative mit der tiefsten Wurzel des Selbstsystems – dem Körperselbst? Es zeigt sich, dass, ausgehend vom Begriff der Hemmung bei Freud, eine Abwehrstruktur zu beschreiben ist, die psychische Impulse bereits im Körperselbst unterdrückt, so dass keinerlei Verbindung zur imaginativen oder verbalen Repräsentation aufgebaut werden. Patienten mit Frühtraumatisierung leiden oft unter solchen Konstellationen einer namenlosen Qual.
Es wird eine Behandlungstechnik vorgestellt, die in der Lage ist, dieses körperlich kodierte Unbewusste in die Behandlung miteinzubeziehen und durchzuarbeiten. Interessant für die KIP ist der Umstand, dass bei einer solchen fokussierten Aufmerksamkeit auf das Körperselbst des Patienten, neben Leibwahrnehmungen oft spontane Imaginationen auftauchen, mit denen gearbeitet werden kann.

Sebastian Leikert Jg. 1961, Dr. en Psychanalyse (Paris), Dipl.-Psych., Psychoanalytiker (DGPT) affiliiertes Mitglied der DPV. Niedergelassen in eigener Praxis in Saarbrücken. Dozent und Lehranalytiker am Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Heidelberg (DGPT), Dozent am Saarländischen Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie (DPG), Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik (DGPM), Mitglied im Editorial Board von Psychoanalytic Quaterly Arbeiten zu ästhetischen und klinischen Fragestellungen.
Letzte Veröffentlichungen: (2019) Das sinnliche Selbst – Das Körpergedächtnis in der psychoanalytischen Behandlungstechnik.  
(2021) International Journal of Psychoanalysis. Encapsulated body engrams and somatic narration – integrating body memory into psychoanalytic technique
Kontakt: www.sebastian-leikert.de, s.leikert@web.de

Imaginationen tragen dazu bei, etwas Inneres, das „ungedachte Bekannte“ (Bollas) zwischen PatientIn und TherapeutIn träumbar, erfahrbar und letztendlich symbolisierbar zu machen. Gerade in Phasen, in denen die Fähigkeit zur Reverie verloren zu gehen droht, werden sie zu einem wichtigen tragenden Element, das den Zugang zu dem, was noch schwer in Worte zu fassen ist, wieder herstellen kann. Im Laufe der Therapie entsteht aus den vielen Imaginationen so etwas wie ein narratives Gewebe, das von beiden, von PatientIn und TherapeutIn, gestaltet, immer wieder neu erschaffen, transformiert und verändert wird und gerade durch diese Modifikationen seine Tragfähigkeit erhält. Im Vortrag soll anhand von kurzen Fallvignetten über das Entstehen und Gestalten dieses Gewebes nachgedacht werden.

Helga PLONER, Mag.^a, Sonder- und Heilpädagogin, Psychotherapeutin (KIP), Lehrtherapeutin mit part. Lehrbefugnis (KIP) Lehrbeauftragte im WBC für Säuglings- Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie der ÖGATAP, Institut für Erziehungshilfe, eigene Praxis Wien

Die unterschiedlichen sozialen Erwartungen, die an uns gestellt werden und unsere eigenen unbewussten Wünsche werden zu einem Ereignis. Diese Szene des Befürchteten und Begehrten wird im Hier und Jetzt überarbeitet, um eine andere Identität möglich zu machen.
Das Thema: Als Kind lernten wir im szenischen Spiel mit unserer Mutter zu sprechen (Lorenzer, 1974, S. 118) und erwarben so unser zentrales szenisches Narrativ, dass uns unsere Identität beschreibt. Diese szenische Erzählung wurde zur Erklärung wer wir sind, definierte unsere äußere und innere Wirklichkeit (Ricœur, 1987, S. 58)
Dieses Skript wird in der szenischen Imagination mit einer anderen Person bearbeitet, um eine andere Identität zu entwerfen.
Die Methode der szenischen Imagination. Der Fokus der Wahrnehmung wird auf mimisch gestische Mitteilungen gerichtet, die unmerklich stattfinden und jede sprachliche Äußerung, in denen wir von uns erzählen, begleiten. So können wir unsere bestehenden Handlungsmuster erkunden, überarbeiten und Neues erproben.
Die szenische Imagination schafft einen Raum, in dem mit den Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers und der Sprache über die eigene Identität nachgedacht wird.

Literatur:  Bohleber W. (2014), Engelhardt S. (2021b), Fischer-Lichte E. (2004), Fonagy P. (2002), Lorenzer A. (1974), Mertens M. (2013), (Ricœur, 1987, S. 58) Segal H. (1996), Schmidt M. (2014), Tadeuz B. & Bigniew O. (1979) Warsitz Rolf-Peter (2014)

Stephan ENGELHARDT, Mag.art., Kunstpädagoge, Theaterpädagoge, Psychotherapeut (KIP), eigene Praxis Wien, E-Mail: stephan_engelhardt@aon.at