Kongress 2016, Hauptvorträge

Der weltweit erstarkende militante religiöse Fundamentalismus, die fast täglichen Schreckensmeldungen terroristischer Gewalt stellen gegenwärtig ein ungeahntes Bedrohungspotential dar. Was geht in der Psyche von Gotteskriegern und Selbstmordattentätern vor, was verwandelt Friedenskämpfer in gnadenlose Eiferer, lässt Massen ihren eigenen Untergang herbeischreien?
Der Vortrag behandelt Wesen, Ursprung und Entwicklung fanatischer Persönlichkeitshaltungen aus einer eher tiefenpsychologischen Perspektive. Im ersten Teil werden unterschiedliche Fanatismusformen und Fanatikerpersönlichkeiten, der Fanatismus als unterschwellige Hassgetriebenheit und Gewissenspathologie diskutiert. Der zweite Teil behandelt die Entstehung eines „radikalen Potentials“ in der kindlichen und adoleszenten Entwicklung, wie es – unter besonderen persönlichen Dispositionen und besonderen gesellschaftlich-historischen Bedingungen – vor allem in der Spätadoleszenz in eine fanatische Persönlichkeitsentgleisung umschlagen kann.

Peter CONZEN, Dr., Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, zahlreiche Publikationen, u.a. Autor von „Fanatismus: Psychoanalyse eines unheimlichen Phänomens“ (Kohlhammer, 2005) und „Erik H. Erikson – Grundpositionen seines Werkes“ (Kohlhammer, 2010), Leiter der Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder, Katholische Familien- und Erziehungsberatung für Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis, eigene Praxis Bonn, E-Mail: peter.conzen@caritas-bonn.de

Im Konflikt um die Homoehe (mariage pour tous) tauchte im rechtsextremen „Lager“ in Frankreich und darüber hinaus ein Diskurs auf, dessen Propagandist(inn)en es sich zum Ziel machen, den von ihnen als Genderwahn oder „théorie du genre“ bezeichneten kritischen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskurs um Geschlechterverhältnisse sowie um sexuelle und geschlechtliche Diskriminierung zu diffamieren.
Anhand von begriffs- und diskursanalytischen sowie gruppenanalytischen Zugangsweisen wird der Vortrag ausgehend von zentralen Behauptungen dieser Gruppe der Frage nachgehen, wo der „Wahn“ beginnt und das Weiblichkeitsphantasma inmitten eines immer noch männlich dominierten politischen Imaginären aufhört. Schließlich soll skizziert werden, inwieweit die Homophobie in diesem „Fanatismus sui generis“ eine konstitutive Rolle spielt.

Alice PECHRIGGL, Univ-Prof.ⁱⁿ, Dr.ⁱⁿ phil., Philosophin am Institut für Philosophie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (AAU), Prodekanin der Fakultät für Kulturwissenschaften, Mitglied der Curriculumkommission Gender Studies der AAU, zahlreiche Publikationen, u.a. Autorin von „Phänomene der Angst. Geschlecht – Geschichte – Gewalt, gem. mit Gudrun Perko, (Wiener Frauenverlag, 1996) und „Veränderliche Geschlechtsidentitäten. Sex/Gender-Fluktuationen in der Gesellschaft und in psychoanalytischen Gruppen“ (in Frauen beraten Frauen, Psychosozialverlag, 2010) Gruppenanalytikerin (ÖAGG), eigene Praxis Klagenfurt, E-Mail: Alice.Pechriggl@aau.at

Die Scham-Wut ist die gefühlsmäßige Reaktion auf Zurückweisung und dient oft dem Versuch, die eigene »Würde« wiederherzustellen. Dies kann auf individueller, aber auch auf kollektiver, gesellschaftlicher Ebene geschehen. Hinter fundamentalistischen Allmachts -und Vernichtungsideen müssen nicht zu bewältigende Ängste vor Scham, Kleinheit und absoluter Nichtigkeit verborgen werden. Im Vortrag soll der Zusammenhang zwischen Scham-Wut, Rachephantasien und der fanatischen Identitätsverengung hergestellt werden

Jens TIEDEMANN, Dr., Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Tiefenpsychologischer Körperpsychotherapeut, Psychoanalytiker, zahlreiche Publikationen, u.a. Autor von „Die intersubjektive Natur der Scham“ (Forum der Psychoanalyse 24, 2008) und „Die Scham, das Selbst und der Andere, Psychodynamik und Therapie von Schamkonflikten“(Psychosozial-Verlag, 2010), eigene Praxis Berlin-Kreuzberg, E-Mail: tiedemann1@gmyx.ne

In Psychotherapien begegnen wir selten Fanatikern, denn Fanatismus schützt in seiner absoluten Überzeugtheit das fragile Selbst, macht scheinbar sicher und lässt kein Hinterfragen der eigenen Position zu.
Dennoch gibt es im psychotherapeutischen Alltag verschiedene Dynamiken, die uns erleben lassen, wie sich Menschen zu Fanatikern entwickeln können. Anhand verschiedener Beispiele soll veranschaulicht werden, wie fanatische Tendenzen bestimmte Störungsbilder charakterisieren, welche Auswirkungen fanatische Anteile auf das Übertragungs-Gegenübertragungsgeschehen haben und wie bedeutsam es ist, psychotherapeutisch an dem Angelpunkt zu arbeiten, an dem präfanatische Einstellungen zu fanatischen Überzeugungen werden können.

Mathilde PICHLER, Dr.ⁱⁿ, Klin. und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin (KIP), Ausbildungsleiterin und Lehrtherapeutin der ÖGATAP (KIP), zahlreiche Publikationen, u.a. über „Wenn der Körper spricht … – Zum Symbolverständnis psychosomatischer Phänomene“ in Imagination 1/2011, Leiterin der psychosomatischen Ambulanz des SMZ Süd- Wien, eigene Praxis Wien, E-Mail: mathilde.pichler@gmx.at

Öffentliche Darstellung von Gewalt, ihre bewusste Ablehnung oder Verherrlichung und die heimliche Faszination an der Destruktivität stehen in einem komplexen Wechselverhältnis. Gewaltfantasien und ihre Sublimierung prägen den Prozess der psychischen Entwicklung. Ohne ihre Einbindung in soziale Zusammenhänge mit Hilfe der Kultur wäre, wie nicht zuletzt jüngste Gewaltexzesse erneut zeigen, gesellschaftliches Zusammenleben ein Albtraum. Funktionen destruktiv aggressiver Gewalt im adoleszenten Entwicklungsprozess werden im Vortrag diskutiert und anhand von Fallbeispielen erläutert. Der Normalität der Beschäftigung mit Gewalt in der Adoleszenz wird ihr Entgleisen und die Verfestigung in destruktiven psychischen Haltungen, die oft von Weltrettungsideologien ausgenutzt werden, gegenübergestellt.

Michael GÜNTER, Prof. Dr. med., FA für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, FA für Psychosomatische Medizin, Psychoanalytiker, Kinder- und Jugendlichenanalytiker und Lehranalytiker (DPV/IPA), zahlreiche Publikationen, u.a. Autor von „Therapeutische Erstinterviews mit Kindern. Winnicotts Squiggletechnik in der Praxis“ (Klett-Cotta, 2003/2012) und „Gewalt entsteht im Kopf“ (Klett-Cott, 2011), Herausgeber der Zeitschrift Kinderanalyse, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Stuttgart, eigene Praxis Stuttgart, E-Mail: m.guenter@klinikum-stuttgart.de